Auf dem Weg zur lernenden Region – die „Landakademie“ als Herausforderung
Das Symposium „Ösling-Attert – lernende Regionen“ vom 30. September bis 2. Oktober 2005, eine Veranstaltung im Rahmen des „discours Wiltz“
In enger Zusammerarbeit mit der LEADER-Gruppe Redange-Wiltz lud das Wiltzer Regionalzentrum Coopérations am ersten Oktober-Wochenende zum einem Symposium im Rahmen der Veranstaltungsreihe „discours Wiltz“: Insgesamt 16 Referenten und 51 Teilnehmer folgten dem Aufruf und setzten sich intensiv mit dem von der LEADERGruppe erarbeiteten Konzept einer Landakademie auseinander. Bildung und Partizipation, Bildung und Kultur sowie Bildung und Wirtschaft standen dabei im Zentrum der dreitägigen Veranstaltung. Sie wurden in Impuls- und Fachreferaten illustriert und in Kleingruppen im Hinblick auf ihre praktische Umsetzbarkeit vertieft.
LEADER Strategie als Ausgangspunkt
Wie kann man die Potentiale einer Region für die Menschen nutzen und nutzbar machen? Das übergeordnete Thema verdeutlicht den Schwerpunkt der LEADER Strategie: „Mensch – Bildung – Kommunikation“. In diesem Zusammenhang nimmt Bildung eine Schlüsselposition ein und steht der Idee einer Landakademie, die als regionales Entwicklungsinstrument mit vorhandenen Potentialen besser und effektiver umgehen will, Pate. So versammelten sich in Wiltz an die siebzig Personen, um das Projekt der geplanten Landakademie zu diskutieren. Marco Gaasch, Präsident der LEADER-Gruppe Redange-Wiltz, legte zunächst dar, wie im Zuge einer ganzheitlichen Regionalentwicklung der Investitionsschwerpunkt in der LEADER-Region von der Förderung der Infrastruktur hin zur Entwicklung der in der Region lebenden Menschen verschoben wurde.
Der Direktor von Coopérations, Herbert Maly, der Bürgermeister von Wiltz, Romain Schneider, und Octavie Modert, Staatssekretärin für Landwirtschaft, Weinbau und Ländliche Entwicklung, leiteten dann zum Symposium über und hoben dabei das Engagement der LEADERGruppe besonders hervor. Das innovative Projekt der Landakademie wurde dabei als Hoffnungsträger für die Entwicklung des ländlichen Raumes und als Plattform zur Anregung eines öffentlichen Diskurses in Bezug auf eine dezentrale, bedürfnisorientierte und partizipative Bildungsstruktur gesehen.
Der menschenzentrierte Ansatz
Als Festredner hatten die Organisatoren Karl Pilsl geladen. Der Unternehmer und Wirtschaftsjournalist erläuterte seine Visionen in Bezug auf die Talententwicklung einer Region. Pilsl empfahl den Ansatz einer visionären Leadership als Kontrapunkt zu herkömmlichem Management. Zu viele Manager arbeiten alleine an der Umsetzung ihrer persönlichen Strategie, so Pilsl, wodurch der Umgang mit Mitarbeitern nicht effizient sei. Durch die Nicht-Nutzung vorhandener Potentiale könne niemand aus Erfahrungen im Umgang damit lernen. Wie kann man durch visionäre Leadership Menschen anleiten zu lernen und ihre Ideen umzusetzen? An diesem Punkt setze die Landakademie an: Sie wolle Menschen in der Region dazu inspirieren, ihre Potentiale zu bündeln und effektiv zu nutzen. Es komme, bildlich gesprochen, darauf an, „das Feuer im Herzen der Menschen“ zu entfachen und ihren Mut zu stärken, neue Dinge zu tun. Wichtiger als das, was etwa die Regierung für eine Region tue, sei es, was die Region für ihre Menschen tun könne. Man müsse erkennen, welche Fähigkeiten in einem selbst liegen und wie man sie für sich und die Gesellschaft nutzbar mache. Dieses Umdenk- und Visionspotenzial habe die LEADER-Gruppe mit ihrer Strategie bewiesen. Doch wie könne die praktische Umsetzung dieses Ideals angegangen werden? Pilsl wies auf mehrere Aspekte der Gesellschaft hin, die dabei nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Erstens sei eine Revolution des Bildungswesen, das sich weg von einer strafenden Wissensvermittlung hin zu einer investierenden Talentförderung wandeln müsse, notwendig; zweitens eine im Gesundheitswesen, dessen Augenmerk in Denken und Handeln sich verstärkt auf die Bewahrung der Gesundheit als auf die Heilung von Krankheit konzentrieren müsse; drittens müsse man sich die stetig fortschreitende Entwicklung im kommunikationstechnologischen Bereich vor Augen halten und viertens sei eine Wandlung des Unternehmertums wichtig: Der „Superunternehmer der Zukunft“ müsse die Fähigkeit besitzen, eine Atmosphäre zur Anziehung und Entfaltung der Talente zu schaffen. Gelänge es, die Menschen mit einer Vision zu begeistern, die bereits in deren Herzen brenne, bedürfe es keiner Unterordnung mehr, da die Vision selbst die Führung übernehmen könne. Die Herausforderung einer visionären Leadership liege darin, in Menschen zu investieren und der Frage nachzugehen, wie man diesen Menschen zur eigenen Entfaltung helfen könne. In unterhaltsamen neunzig Minuten gab Karl Pilsl den Hörerinnen und Hörern grundlegende Denkansätze aus seinen eigenen Erfahrungen mit. Während des gemeinsamen Abendessens sorgten sie für reichlich Diskussionsstoff und brachten das Symposium als gemeinsame Denkplattform in Gang.
Fachliche Anregungen und praktische Impulse
Zu Beginn des zweiten Tages erläuterte Stefan Dietz (entra – Unternehmer Entwicklung), der die Arbeitsgruppe Landakademie bei der Erarbeitung des gesamten Projektes laufend unterstützt, den aktuellen Stand des Vorhabens.
In Vertretung der Ministerin für das Bildungswesen wies Claude Boever, designierter Direktor des Lyzeums in Redange, auf die Wichtigkeit der Entfaltungsmöglichkeit für alle Menschen in der heutigen Wissensgesellschaft hin. Gerade in Hinblick auf die Landakademie sei es unerlässlich anzuerkennen, dass verschiedene Menschen zu unterschiedlichen Zeiten in ihrem Leben in unterschiedlichem Maße aufnahmefähig seien. Diese neue Struktur könne daher unter anderem auch jenen eine Chance bieten, die sich im klassischen Schulsystem nicht zurechtfinden konnten. Bildungspolitisch gesehen bestehe viel Interesse an Alternativen mit integrativem Ansatz.
Die weiteren Fach- und Impulsreferate verwiesen auf die besonderen Vorteile einer flexiblen regionalen Struktur. Hingewiesen wurde u.a. auf die Notwendigkeit der Einbeziehung spezifischer Zielgruppen, einer nachhaltigen Planung, einer stetigen Evaluierung und Anpassung der Struktur, einer transversalen Einbindung sowie auf mögliche Schwierigkeiten im Zuge der praktischen Umsetzung. Zum Thema Bildung und Partizipation referierten Chantal Fandel (Formation Professionnelle, Ministère de l’Education Nationale et la Formation Professionnelle - MENFP) und der Bildungsberater Stefan Staudner (D), zum Thema Bildung und Kultur nahmen der Direktor von Lux-Development, Raymond Weber und der freie Kulturschaffende aus Deutschland Olaf Grossmann Stellung, während Pol Wagner, Direktor des Institut Universitaire International Luxembourg zum Thema Bildung und Wirtschaft sprach.
Erkenntnisse des Symposiums
Nachmittags diskutierten drei den jeweiligen Themen zugeordnete Arbeitsgruppen und erarbeiteten dabei für die Landakademie relevante Punkte aus. Begleitet wuden sie von Stefan Dietz und den Moderatoren von 4motion. Die Resultate aus den Workshops wurden am Sonntagvormittag vorgestellt.
Im Bereich Bildung und Partizipation hatten sich die Teilnehmer vorrangig mit der Frage befasst, wie eine aktive Teilnahme der Bevölkerung angeregt und gewährleistet werden könne. Eine besondere Rolle komme dabei den im Konzept der Landakademie vorgesehenen Ansprechpartnern in den Gemeinden zu. Betont wurde das Ziel der bedürfnisorientierten Bildung, die den Bürger dort erreichen soll, wo er steht und ihn persönlich, beruflich, kulturell oder sozial weiterbringen kann. Gleichzeitig müsse sichergestellt werden, dass die Erfahrung in der Landakademie ihrerseits die Partizipationsbereitschaft stärke und fördere.
Die Themengruppe Bildung und Kultur erkannte es als vorrangiges Ziel an, eine Diskussionskultur zu fördern, die, im Bewusstsein des Kulturerbes und unter gleichzeitiger Verbindung unterschiedlicher Kulturen, eine neue Identität schaffen könne. Die spezifischen Potentiale und das Wissen der Region müssen in diesem Zusammenhang aufgedeckt, identifiziert und mit eingebunden werden. Die Teilnehmer der Gruppe sprachen sich dabei für die Schaffung neuer und vielzähliger, mit gesellschaftspolitischen Veränderungen einhergehenden Verbindungen aus. Auf diesem Wege könne in der Landakademie eine Mischung aus wirtschaftlich-beruflicher und sozio-kultureller Bildung entstehen.
In Sachen Bildung und Wirtschaft formulierte die dritte Arbeitsgruppe zwei Grundaufgaben der Landakademie. Einerseits solle sie als konkrete Weiterbildungsstätte funktionieren, andererseits sei es wichtig, als ’Think Tank’ für die Region zu fungieren: eine Plattform zur Diskussion und Entwicklung neuer Ideen. Darüber hinaus identifizierte die Gruppe mögliche Aktionsfelder im Sinne der Entwicklung eines zukunftsfähigen regionalen Wirtschaftsprofils im Norden des Landes: erneuerbare Energien, Ansiedlung einer Gesundheitsregion, sanfter Tourismus und Förderung einer Dienstleistungsregion.
Aus allen Diskussionsrunden wurden in Form von Fragen weitere Arbeitsimpulse an die Arbeitsgruppe Landakademie weitergereicht.
Die anschliessenden Stellungnahmen und die Plenumsdiskussion griffen diese Aspekte auf, um sie zu vertiefen. Der Bürgermeister von Beckerich, Camille Gira, forderte ein, die offen stehenden Fragen baldmöglichst zu beantworten. Er beschrieb die Chance des Projektes, in einer kreativen Denkplattform eine dynamische Gemeinschaft entstehen zu lassen, in der geteiltes Wissen vermehrtes Wissen bedeute, und in der auch der emotionale Austausch seinen Platz finde. Der Vertreter des Ministers für Inneres und Raumplanung, Claude Wagner, erkannte in der Landakademie ein wichtiges Instrument für das Erlernen der freien Meinungsäußerung und die Erhebung von Informationen. Gepaart mit aktiver Öffentlichkeitsarbeit sei die Identitätsschaffung in der Region eine gute Basis für eine erfolgreiche Regionalentwicklung. Gaby Urbé (Formation des Adultes, MENFP) hob die Wichtigkeit einer positiven Streitkultur hervor. In Bezug auf das Bildungsvorhaben erläuterte sie, wie sehr es an Orientierung und Beratung mangele, und verwies auf Arbeitslose, niedrig Qualifizierte und Analphabeten als vorrangige Zielgruppen des Erziehungsministeriums hin. Eine Schwierigkeit stelle dabei die Tatsache dar, dass bisher kein luxemburgisches Konzept zur Erwachsenenbildung vorliege. Die lebendige Plenumsdiskussion griff zahlreiche der genannten Punkte noch einmal klärend oder erweiternd auf. In seiner abschließenden Rede kam der Präsident von Coopérations, Jean-Pierre Dichter, noch einmal auf die grundlegenden Fragen zurück: Wer lernt was, weshalb, wo und wie? Und welche Position kann die Landakademie in diesem Zusammenspiel von unterschiedlichen Faktoren einnehmen? Diese abschließenden Überlegungen schlossen den Bogen, indem sie auf den Menschen in der Region und dessen Fähigkeiten und Talente verwiesen. Dichter knüpfte dabei an Karl Pilsl an: „Menschenspezialisten sind dringend gesucht!“
Das dreitägige Symposium hat in einem regen Austausch zwischen Experten und engagierten Teilnehmern klar hervorgebracht, welche Ziele die Landakademie verfolgt und welche verschiedenen und innovativen Wege sie dabei gehen kann. Die hier geschaffene Denkplattform hat sich bewährt, indem sie neue Impulse und Ideen erzeugen und vermitteln konnte. Dem Ziel der praktischen Umsetzung der Landakademie ist man damit ein großes Stück näher gekommen.